Wie Medien das Grundprinzip Computerspiel verdrehen

Aktueller Anlass: Amoklauf Emsdetten. Ein 18-jähriger läuft in seine Schule, schießt mit Kugeln und Sprengsätze um sich und richtet sich anschließend selbst. Schuld waren die Computerspiele Counter Strike und Doom 3, die auf seinem Computer gefunden wurden und die er täglich spielte.
Eine kranke Welt, sagt jemand, der keine Ahnung hat.
Eine kranke Interpretation, sage ich.
Die Medien zerreißen Counterstrike wie schon damals, als der Amoklauf in Erfurt stattfand, in der Luft. Politiker sorgen sich um das Wohl des gesamten Volkes, solange es noch diesen wahnsinnigen Killerspielen ausgesetzt ist, fürsorglich versprechen manche im Wahlprogramm, Killerspiele zu verbieten. Diese Politiker haben leider keine Ahnung, lediglich ein großes Sprachrohr, mit dem sie ihre unqualifizierte Meinung preisgeben. Bild titelt wieder mit Horrorschlagzeilen, Focus TV toppt alles und benutzt die Verarschung eines kleinen Pseudoschauspielers als Beweismittel für Computerspielesucht. Dass das Spielen von Shootern Spaß macht, wird kein Fan der Szene bestreiten, dass es bedingt brutal ist. Leider sind viele der Leute, die den Mund am Weitesten aufmachen, am Wenigsten darüber informiert, wie so ein Spiel ist, geschweige denn haben selbst je eines gespielt.
Computerspiele - ob nun Shooter, Strategie- oder Sportspiel, sie alle dienen zur Unterhaltung des Spielers. So auch Shooter, die die Spielfiguren in mehr oder weniger blutige Schießereien verwickeln, für Kills Punkte verteilen und den Wettbewerb gegen den Computer oder den realen Gegner immer in den Vordergrund stellen.
Richtig ist, dass Gewalt zu Nachahmung führt, wie eine Studie belegt, bei der man Kindergartenkinder Tom und Jerry ansehen ließ und feststellte, dass ihr gemeinsames Spielverhalten nach dem Sehen der Folge brutaler wurde als bei der Kontrollgruppe. Das sagt uns einerseits, dass Gewalt - so subtil sie nun sein mag, ob offensichtlich in Spielfilmen oder verharmlost in Comics - zu Nachahmung führt. Ob diese Nachahmung von Dauer oder Nachhaltigkeit ist, wissen wir damit noch lange nicht. Ob dadurch die Hemschwelle zu höheren Gewaltformen herabgesetzt wird, wissen wir auch nicht.
Es ist falsch zu behaupten, Shooter würden aggressiv machen, so weit, dass man einfach mal einen Amoklauf macht. Diese Behauptung ist nicht nur stupide, sondern auch eine Unterstellung an alle Shooterspieler, die schwer sozial gestört sein müssten, träfe das auf alle zu. Von einer Million Counterstrikespieler begeht einer einen Amoklauf - dadurch macht man das Spiel für sein Verhalten verantwortlich?
Dumm nur, dass ein großer Teil der Medien das propagiert und ein großer Teil des Volkes die Propaganda auch noch glaubt.
Genauso unsachlich sind Behauptungen, dass die Realtität nicht mehr von der polygonbasierenden Spielwelt unterschieden werden kann. Das mag auf bestimmte Menschen zutreffen, die psychisch krank sind und keine normale Menschliche Wahrnehmung besitzen, auf einen normalen Spieler ist diese Beschuldigung aber nicht anwendbar. Vor allem motiviert ein Shooter in keinster Weise dazu, diese Gewalt "in echt" nachzuahmen. Wir reden hier von Pixeln, Polygonen und einem Zeigegerät in der Hand -
nicht einer AK-47 im Anschlag.
Bring it to mind.
.tobias
Nachtrag zum Prinzip Computerspiel (3.12.):
Die Anschuldigungen der Medien kommen sicherlich nicht aus jemandes Ärmel, es ist immer ein Hauch Wahrheit dran. In Sachen Suchtpotenzial zeigt z.B. World of Warcraft, dass Digitale Games abhängig machen können. Die sozialen Auswirkungen sind nicht abstreitbar, und laut einigen Zeitungsberichten gab es in Japan z.B. ein totes Baby, das von den zockenden Eltern "vergessen" wurde.
Es ist sicherlich nicht schlecht, dass das Thema Computerspiele wieder von der ethischen Seite beleuchtet wird, aber leider äußert sich die Kritikerwelt sehr polarisierend (dieses Wort ist fast klassisch in diesem Kontext..) und einseitig. Konstruktive Vorschläge, wie dem Problem beizukommen ist, gibt es von offizieller Seite so gut wie nie zu hören.
Ich finde es bedenklich, dass gerade das Problem Emsdetten diese Frage erneut aufwarf, obwohl der Bezug zu den Computerspielen ja wohl nur einen kleinen Teil des Puzzles von Sebastian B. darstellte.
Gentle - 1. Dez, 17:04